Vom 21. Oktober 1944, bis zum 22.Dezember 1944 bestand in dem Barackenlager in der Ortsmitte von Engerhafe, ein Nebenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Schon bald gab es die ersten Todesfälle.
Am 4. November wurden die ersten fünf gestorbenen Insassen noch in Särgen und in 3 normalen Wahlgrabstellen beerdigt. In derselben Reihe in Grab 1, wurden am 04.12.1941 die Überreste von drei englischen Soldaten, und in den Gräbern 2-5, wurden am 31.12.1941, fünf weitere englische Soldaten bestattet, die bei einem Flugzeugabsturz starben. Diese Kriegsgräber der Soldaten sind nicht erhalten geblieben.
Das Kirchenvorstandsprotokollbuch vermerkt am 6. November 1944: „Das Barackenlager im Pfarrgarten ist seit einiger Zeit in ein Gefangenenlager verwandelt und sehr stark belegt worden. Es sind Todesfälle eingetreten, bis zum heutigen Tag zehn. Die Kirchengemeinde muss für Beerdigung sorgen.“
Die knappe Aussage „Die Kirchengemeinde muss für Beerdigung sorgen“ kann nur bedeuten, dass die Kirchengemeinde die Fläche zur Bestattung der Opfer bereitstellen musste. Denn nach dem die ersten fünf gestorbenen Insassen beerdigt waren, wurde schnell klar, das der Platz für noch weitere zu erwartende Tote nicht ausreichte. Der Kirchenvorstand beschließt am 6. November: „Der Kirchhof wird um die freie Fläche südlich des Glockenturms und dem hieran anschließenden früheren Spielplatz erweitert. […] Die südliche Hälfte wird zur Beerdigung der Strafgefangenen zur Verfügung gestellt.“
Das Beerdigen der Toten übernahm dann im Wesentlichen ein kleineres Kommando aus dem KZ, das unter Bewachung die Gruben aushob und die Toten dort hinein legte, die mit dem Milchwagen angeliefert und vor der Beerdigung in Papier eingerollt wurden. Der Totengräber der Kirchengemeinde war mit seinem Knecht vor Ort, er hat die Aufsicht bei der Beerdigung geführt und nahm die Totenzettel entgegen. Später bei der Exhumierung konnte er Aufklärung über die Lage der Gräber geben. Der Knecht sagte später, dass bei der Beerdigung jemand aus dem Lager ein Gebet sprach.
Pastor Janssen schreibt später in der Kirchenchronik: „Dem Totengräber wurden 187 Gestorbene gemeldet, die ohne kirchliche Beteiligung und auch sonst ohne jede Rede begraben wurden“.
Eine Grabkennzeichnung, die anfangs erfolgte, wurde von der Lagerleitung verboten und 1944 wies kein Hinweis auf die hier Begrabenen hin.
Abbildung 19; Bild der Kriegsgräberstätte im Jahr 1944 aus dem Buch von Elke Suhr.
Abbildung 20; Lageplan des Friedhofs, Reihe 1 von Feld C befindet sich an der rechten Seite. Die Gräber der Opfer des KZ‘s befinden sich oberhalb von Feld F.
Abbildung 21; Übersicht der Grabstellen 1944. Oben links die ersten fünf Bestatteten in Feld C, Reihe 1.
Abbildung 22; Grabstein von der VVN 1946 aufgestellt, mit drei ? für die Anzahl der Opfer
Kurz nach Kriegsende stellte die VVN, die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“, auf dem Friedhof der Kirchengemeinde Engerhafe einen Gedenkstein auf. Dieser flacher Gedenkstein an der Nordseite des Grabfeldes erhielt damals die Aufschrift: „Hier ruhen ? ? ? Opfer des Faschismus“.
Ende 1946 wurde der Friedhofsteil, in dem die verstorbenen KZ-Insassen begraben waren, von einem Gärtner hergerichtet. Die KG Engerhafe und die Gemeinde Oldeborg teilten sich die Kosten und versuchten staatliche Hilfe zu erlangen.
1952 wurden die Leichen im Auftrag des französischen Suchdienstes exhumiert und identifiziert. Im Gedenkstein wurden die 3 Fragezeichen entfernt, weil jetzt die Anzahl der Verstorbenen durch die Exhumierungen bestätigt wurde. Es wird berichtet dass die Zahl 188 angebracht wurde aber wahrscheinlich wurde sie nur aufgemalt, denn diese Zahl ist heute nicht mehr zu erkennen. Die Leichen wurden nach Plan wieder bestattet.
Abbildung 23; Bild eines exhumierten Leichnams auf einer Decke liegend.
Abbildung 24; Lageplan der Gräber wie sie nach der Exhumierung 1952 wieder bestattet wurden.
Von den 188 Opfern des KZ’s und dem im Mai 1945 verstorbenen Belgier wurden 51 in ihre Heimat oder auf Ehrenfriedhöfe in Deutschland überführt. Von den verblieben 138 Leichen, ist von 82 die Identität geklärt.
Abbildung 25; Einweihung des Kriegerdenkmals am 23.05.1954
Der Vollständigkeit halber soll noch der Bau eines neuen Kriegerdenkmals im Jahre 1954 erwähnt werden. Er löste ein Denkmal für die Opfer des 1. Weltkriegs ab, das an der Ostseite der Kirche stand.
Abbildung 26; Die Bepflanzung bis 1965. Im Denkmal wurden die drei ? entfernt und die Zahl 188 aufgemalt. Sie ist mittlerweile nicht mehr sichtbar.
Um das Jahr 1965 wurde die Bepflanzung der Grabanlage verändert, wir sehen auf dem Foto links die ursprüngliche Bepflanzung. Die beiden Quadrate an der Südseite wurden entfernt und an dessen Stelle eine Buchsbaumumrandung in Form eines schräggestellten Kreuz und zwei weitere geometrische Elemente aus Buchsbaum gepflanzt.
Abbildung 27; Bild der Gestaltung und Bepflanzung der Gräberstätte von ca. 1965 bis September 2016.
In den Jahren 1986 bis 1988 befassten sich Schüler des Auricher Ulricianums im Rahmen von mehreren Projekten mit dem ostfriesischen Konzentrationslager und entwarfen, an-geleitet von ihren Lehrern Herbert Müller, Bernd Meyse und Anjos dos Neves, Gedenk-steine.
Nach vorausgegangenen Gesprächen zwischen der Gemeinde Südbrookmerland und dem Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Engerhafe, beschließt der KV Engerhafe am 08. September 1988, die Erweiterung der Gedenkstätte um drei Gedenksteine.
Abbildung 28; Einweihung des Denkmals am 31. August 1990
Auf zweien sollen die 189 Namen der Opfer angebracht werden, auf einem weiteren wird über das Geschehen informiert. Das Gedenk- und Mahnmal wird am 31. August 1990 um 17.00 Uhr, der Öffentlichkeit vorgestellt und übergeben.
Abbildung 29; Das Gräberfeld nach der Umgestaltung im Oktober 2016.
Mitglieder des Gedenkstättenvereins begannen mit schon vor dem Jahr 2012 mit Überlegungen, wie die einzelnen Grabstellen mit den Namen der Toten zu kennzeichnen sind. Zunächst gab es im Dorf Irritationen wegen dieses Wunsches zur Kennzeichnung der Einzelgräber und es dauerte eine Weile bis alle Unklarheiten und alle Kompetenzstreitigkeiten beseitigt waren. Erreicht wurde letztlich die Umgestaltung des Kriegsgrabes, weil sich die Beteiligten vom Gedenkstättenverein, der Kirchengemeinde und der Gemeinde Südbrookmerland an einen Tisch setzten, alle ihre Wünsche und Vorstellungen äußerten und letztlich übereinkommend zu einer Lösung kamen.
Der Gedenkstättenverein, die Kirchengemeinde Engerhafe und die Gemeinde Südbrookmerland planten gemeinsam die Art der Grabsteine und welche Bepflanzung zum Einsatz kommen sollte. Eine Buchsbaumhecke konnte nicht mehr verwendet werden, weil der Boden mit Sporen eines Pilzes namens Cylindrocladium buxicola infiziert war, der die vorhandenen Buchsbaumsträucher schon befallen hatte.
Ausgeführt wurden die Planungen von der Gemeinde Südbrookmerland, die Förderanträge beim Land Niedersachsen stellte. Nur die noch vorhandenen Gräber wurden vom Land Niedersachsen gefördert. Die ehemaligen Gräber der 52 KZ-Opfer, die umgebettet wurden, sollten auch einen Gedenkstein erhalten und mussten über Sponsoren finanziert werden.
Gedenkarbeit
Nach Kriegsende wurden regelmäßige Gedenkfeiern in Engerhafe abgehalten. Die schon erwähnten Mitglieder des VVN und die Kirchengemeinde halten die Gedenkfeiern ab. Zum Totensonntag 1952 legte die KG Engerhafe 2 Kränze an den Mahnmalen ab. Die Einladungen zur Gedenkfeier gingen an die Gemeinde Oldeborg und die KZ-Gemeinschaft Aurich. 10 Jahre nach dem Ende des Krieges wurde noch eine größere Gedenkfeier abgehalten.
Obwohl im VVN die Kommunisten dominierten, gab es in den Jahren nach dem Krieg eine gute Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinde und VVN. Ein Beispiel ist die Gedenkfeier von 1954 mit Beteiligung von überlebenden KZ-Insassen aus der gesamten Region Ostfriesland und Oldenburg. Die Veranstaltung wurde im Sonntagsgottesdienst um 10.00 Uhr begonnen und endete mit einer Kranzniederlegung auf dem KZ-Friedhof, gesungen wurden die Lieder: „Wir sind die Moorsoldaten“, „Jesu meine Zuversicht“ und das Lied der Kommunisten: „Brüder zur Sonne zur Freiheit“.
Es gab also eine frühe Gedenkkultur in Engerhafe und hier hätte eine Tradition entstehen können. Aber später, während des Kalten Krieges, wurden, auch von übergeordneten kirchlichen Stellen, vor der Beteiligung an Versammlungen der VVN gewarnt. Diese Überlebenden aus den KZ’s waren vor allem Kommunisten. Das KPD-Verbot vom 17. August 1956 führte dazu, dass man sich von der VVN distanzierte.
Die Aktivitäten beim Gedenken der Opfer wurden vom Verfassungsschutz überwacht und schließlich zog die Bevölkerung sich ganz zurück.
Danach ruhte anscheinend die spezielle Gedenkarbeit nur für die Opfer des KZ in Engerhafe. Die Kirchengemeinde führte jedoch weiterhin allgemeine Gedenkveranstaltungen am Volkstrauertag durch. Hierbei wurden alle Opfer der Gewaltherrschaft eingeschlossen, dazu beteiligte sich die Feuerwehr und Vertreter des VDK (Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e. V.) und an beiden Mahnmalen wurden Kränze abgelegt.
Erst mit Beginn der Friedensbewegung, die durch die Entwicklung neuer Waffenarten, besonders aber infolge des NATO-Doppelbeschlusses am 12. Dezember 1979 und des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan am 25. Dezember 1979 an Schwung zunahm, entstand eine neue, breite und vielschichtige Friedensbewegung in Westeuropa. Bei den Gedenkveranstaltungen anlässlich dieser Friedensdemonstrationen fand eine Rückbesinnung auf die Stätten der früheren Gräueltaten statt.
Als der DGB-Kreis Aurich am 30.01.1983 zum 50. Jahrestag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten eine Gedenkveranstaltung am Lagerfriedhof in Engerhafe abhielt, war die Existenz dieses Konzentrationslagers durch den Zeitungsbericht von Martin Wilken über das Barackenlager im Pfarrgarten, gerade erst wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gestellt geworden. In der Folgezeit wurden jährliche Gedenkveranstaltungen des Ortsvereins des DGB zum Antikriegstag am 01. September hier abgehalten.
1994, anlässlich der 50-jährigen Wiederkehr der Existenz des KZ-Lagers, beschäftigte sich eine AG in Engerhafe mit der Thematik des KZ-Außenlagers. Unter dem Titel „Unter dem Schatten der Vergangenheit“ fand eine Veranstaltungsreihe mit Ausstellungen und Diskussionen statt. Pastor Sanders übernahm den Vorsitz der AG. Nach einem Eklat im Auricher Rathaus (In einer Ausstellung wurde das Tucholsky-Zitat: “Soldaten sind Mörder” verwendet), gab Pastor Sanders den Vorsitz der AG ab und die Veranstaltungsreihe endete vorzeitig.
„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ war der Titel einer weiteren Ausstellung, die vom 01. November bis zum Buß- und Bettag am 19. November 2008 in der Kirche Engerhafe und im Gulfhof Ihnen gezeigt wurde. Die Initiative ging von Herbert Müller aus. Ein Vorbereitungsteam mit Herbert Müller und Ulrich Kohlhoff, dem Kirchenvorstand und dem Verein Gulfhof Ihnen, bereitete die Ausstellung vor. Die Kirchengemeinde war gemeinsam mit dem Verein „Gulfhof Ihnen“ Veranstalter der Ausstellung. Der Kirchenkreis Aurich beteiligte sich ebenfalls.
Am 27. Januar, dem Ausschwitztag und am 30. Januar, dem Tag der Machtübergabe an die NSDAP, fanden und finden immer wieder, vereinzelt Gedenkveranstaltung statt. Hier drängt sich aber die Vermutung auf, dass einzelne Gruppen nur diesen Ort nutzen wollen um ihre politische Botschaft abzusetzen und weniger um den Opfer der Gewaltherrschaft zu gedenken.
Seit der Gründung des Vereins Gedenkstätte KZ-Engerhafe finden jährlich an einem Samstag um den 21. Oktober, dem Tag der Wiederkehr der Errichtung der KZ-Außenstelle, eine Gedenkveranstaltung statt. Die Veranstaltung beginnt in der Regel im Gulfhof Ihnen in Engerhafe mit einem Vortrag, wird in der Kirche Engerhafe fortgesetzt mit der Verlesung der Namen der Verstorbenen und endet am Grabmal mit dem Gedenken an die Opfer.
Gerd Lücken