Bau und Geschichte des KZ-Aussenlager von Engerhafe

Vorwort

Das KZ-Außenlager von Neuengamme in Engerhafe wird meist immer im Zusammenhang mit dem Pfarrhaus von Engerhafe genannt. Das „Barackenlager im Pfarrgarten“ hieß ein Artikel in der ON von 1982 und 1984 veröffentlichte Elke Suhr ihr Buch über „Das Konzentrationslager im Pfarrgarten“. Die Baracken hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Ortskern von Engerhafe gestanden, wenn hier nicht das Pfarrhaus gewesen wäre.

In diesem Bericht geht es zunächst um die Zeit des Nationalsozialismus in Engerhafe und die Entstehung, den Bau und das Aussehen des Lagers. Es wird nicht über die Situation der KZ-Häftlinge eingegangen, ihre unmenschliche Behandlung, die mangelhafte Ernährung und Hygiene und die Umstände in der sie ihre Arbeit verrichten mussten. Hier sind die Beschreibungen, die Elke Suhr gemacht hat, noch immer aktuell. Neuere Erkenntnisse könnten Beschreibungen der Zeitzeugen geben, die immer noch unter uns sind.

Im Jahr 1981 schrieb Martin Wilken einen Aufsatz über das KZ-Außenlager von Neuengamme in Engerhafe, 1984 folgte das noch umfassendere Werk von Elke Suhr. Einige Quellen wurden von beiden außer Acht gelassen. Beide legten den Schwerpunkt auf die zwei Monate, in dem im Lager von Engerhafe KZ-Häftlinge untergebracht wurden. Das Lager aber bestand über 4 Jahre in Engerhafe und es wird in diesem Aufsatz versucht, die übrige Zeit aufzuhellen.

In diesem Beitrag über den Bau und die Geschichte des ehemaligen KZ’s in Engerhafe werden die bekannten Quellen und neuere Erkenntnisse und Zeitzeugenberichte zusammengeführt, um einen noch vollständigeren Bericht abliefern zu können und Fehler in den bisherigen Beschreibungen des Lagers aufzuzeigen. Es wird immer wieder Bezug genommen auf bestehende Aufsätze von Martin Wilken. Das darf nicht verwundern, denn nur er berichtet so umfassend wie kein anderer, über einzelne Details zur Geschichte der Region, die das Kirchspiel Engerhafe bildet.                                  Gerd Lücken

Zeit des Nationalsozialismus

Das Lager in Engerhafe wurde in der Zeit Nationalsozialismus gebaut. Die politische Lage in der Kirchengemeinde Engerhafe wird ähnlich gewesen sein wie in anderen Landgemeinden in Ostfriesland. Nach der Machtübergabe im Deutschen Reich setzte sich diese auch in den kommunalen Institutionen fort. Alle Bürgermeister der Gemeinden Engerhafe, Oldeborg, Upende und Fehnhusen wurden 1933 gegen Parteimitglieder oder der Partei nahestehenden Personen ausgetauscht.

Auch die Gemeinderäte waren nicht mehr gewählt, sondern wurden nach dem Führer-prinzip ernannt. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP hatte über allen Entscheidungen des Gemeinderats und des Bürgermeisters das letzte Wort. In unserer Region gab es in Upende und Theene schon seit 1930 Ortsgruppen der NSDAP, in Victorbur wurde 1933 eine weitere gegründet.

Nach einer Verfügung des Oberpräsidenten der Provinz Hannover, wurden mit Wirkung zum 1. April 1938, die Gemeinden Engerhafe, Oldeborg, Upende und Fehnhusen unter dem Namen „Gemeinde Oldeborg“ vereinigt. Gründe dafür waren unter anderem, dass nicht genügend qualifizierte, der NSDAP nahestehende Personen, vorhanden waren, um die Bürgermeisterposten zu besetzten.

Auch im Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Engerhafe gab es Veränderungen. Pastor Schomerus der dem Kirchenvorstand Kraft Amtes angehörte, war seit dem 31.08.1930 in der Gemeinde in Engerhafe. Für den Sommer 1933 wurde durch ein Reichsgesetz die Neuwahl aller Kirchenvorstände angeordnet. Ein massiver Übergriff des NS-Staates in kirchliches Recht! Aber es gibt keinen Widerstand von Seiten der Landeskirche, keinen Protest.

Bei den Kirchenvorstandswahlen kam es außerdem zu Änderungen im Wahlrecht. Vor der KV-Wahl am 23.07.1933 wurden die vier Kirchenvorsteher von Kirchenmitgliedern gewählt, die sich vorher in Wählerlisten eintragen mussten. Das ergab in der Regel eine sehr geringe Wahlbeteiligung. Die Kirchenvorsteher wurden dabei abwechselnd gewählt. Alle 3 Jahre wurden 2 Kirchenvorsteher neu gewählt, die anderen blieben im Amt. Es bildeten die Dörfer Engerhafe und Fehnhusen einen Wahlbezirk und Oldeborg und Upende einen zweiten Wahlbezirk. Dadurch wurde unter anderem auch sichergestellt, dass aus jedem Dorf ein Kirchenvorsteher vertreten war.

Für die Wahl 1933 hatte die Landessynode von Hannover bestimmt, dass eine Listenwahl stattfinden sollte. Eine Eintragung in Wählerlisten war nun nicht mehr erforderlich, sondern sie war zuvor erstellt worden. Die Wahlbeteiligung war dadurch wesentlich höher. Außerdem hatte der Pastor alle Kirchenmitglieder aufgefordert, zur Wahl anwesend zu sein. Es war eine Gemeinschaftsliste aufgestellt worden; in der Bewerber aus dem Lager der Deutschen Christen (1.) und der Bekennenden Kirche (2.) gemischt vertreten waren. Zum Glück erhielten Wahlbewerber, die den Deutschen Christen zugerechnet werden können, in Engerhafe nur einen der vier Sitze.

Damals versuchen Pastor und Kirchengemeinde, obwohl kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt, besonders im Hinblick auf die Gleichschaltung der Kirche in Deutschland, sich mit dem Geist der damaligen Zeit zu arrangieren. Z.B. sollte der Luthertag 1933 von der Partei der Nationalsozialisten als Feier eines „völkischen“ Luthers groß aufgezogen werden. Zur Vorbereitung des Lutherfest in Engerhafe trafen sich der Pastor, der Kirchenvorstand, der Vertreter der Deutschen Christen, der Schullehrer und Vertreter der Partei.

Im KV-Protokoll von 1933 lesen wir: „Es wird über die Ausgestaltung des Luthertags  am 10. Nov. gesprochen. Zu der Besprechung ist der Vorsitzende der D.C.  aus Oldeborg, der NSDAP und der Schullehrer Neumann eingeladen. Ein Gemeindegottesdienst soll um 10 Uhr vormittags sein, zu im werden alle Glieder der (Gau), insbesondere die Angehörigen der NS Organisationen eingeladen. Der Gottesdienst soll zur früh (am Morgen) ausgestaltet werden, die Schulklassen sollen mitwirken. Ein Programm soll gedruckt, eine Fl. (Syrup) an die Kinder verteilt werden.

Ein luth. Gemeindeabend lässt sich nach allgemeiner Meinung nicht gut durchführen. Am Abend des 10. Nov. soll das Singen der Kinder nicht gestört, aber das Laufen der Masken möglichst unterbunden werden. Eine Aussprache über allgemeine kirchliche Fragen ergab auf allen Seiten die Bereitwilligkeit zur verständnisvollen Zusammenarbeit.“ Soweit das Zitat aus dem Protokollbuch.

Mit der Ausgestaltung des Lutherfests hat man sich arrangiert. Auch das Reichsflaggengesetz wurde hier in Engerhafe eingehalten, das vorschrieb an den staatlichen oder kirchlichen Feiertagen die Reichs- oder Nationalflagge (und das war seit dem 15. September 1935 die Hakenkreuzflagge) gehisst werden sollte.

Außerdem wurden die Kirchenbücher dem Reichssippenamt überlassen. Hier wurde unter anderem geprüft, ob es in der Vergangenheit Judentaufen gegeben hatte. Auch fertigte das Pfarramt den „großen und kleinen Abstammungsnachweis“ an. Er wurde bei Heiraten, Hochschulabschlüssen und beim Eintritt in die NSDAP benötigt.

Aber die verständnisvolle Zusammenarbeit, die im KV-Protokoll erwähnt wurde, war nicht klar gefasst. Hier gab es einige ungeklärte Punkte. Die Benutzung der Kirche durch die Deutschen Christen war wohl in Engerhafe nicht das große Problem, denn die deutschen Christen wichen auf andere Kirchen oder auch Schulen aus. Aber es gab Terminschwierigkeiten beim Konfirmationsunterricht und Gottesdienstbesuch, weil sich zeitgleich die Hitlerjugend versammelte.

In einigen Dingen bezieht man klar unterschiedliche Positionen. Die Gleichschaltung der Kirche soll verhindert werden, darum wird eine Gruppe der Bekennenden Kirche gegründet. 250 Kirchenmitglieder treten ihr bei.

Auf der anderen Seite gibt es die schon erwähnten Deutschen Christen, die eine eigene nationalsozialistisch geprägte Kirche gegründet haben und deren Zahl in der Gemeinde Oldeborg, die in ihrer Ausdehnungen mit der Kirchengemeinde Engerhafe identisch ist, 40 beträgt. Die Bekennende Kirche war keine Widerstandsorganisation wie man sie im Nachhinein gerne darstellt, sondern ihr ging es nur darum, die Gleichschaltung   der Kirche zu verhindern. Sie war nicht gegen den NS-Staat gerichtet und in den Reihen der Bekennenden Kirche befanden sich Parteimitglieder der NSDAP, Angehörige der SA und sogar der SS.

In der Zeit war Pastor Schomerus Pressesprecher im Kirchenkreis Aurich. Deshalb gibt es viele Dokumente von ihm im Archiv des Landeskirchenamts in Hannover. Am 12. Mai 1934 schrieb Schomerus einen eindringlichen Brief an Landesbischof Marahrens, mit dem dringenden Appell, nun endlich mit einer klaren Position, gegen die Eingliederung der Kirche in das NS-System, durchzugreifen. Dieser Brief hat sicher mit dazu beigetragen, dass Marahrens der schon zugestimmten Eingliederung widersprach. Schomerus ist Ende August 1939 zur Wehrmacht eingezogen worden und wurde im Krieg gegen Polen und später gegen Frankreich eingesetzt. Danach ist er wieder aus der Wehrmacht ausgeschieden und Ende 1940 setzte er seinen Dienst in Engerhafe fort.

Am 31.10.1941 verließ Schomerus Engerhafe, weil er Superintendent in Esens geworden war. Nach Aussage seines Sohnes  waren Anfeindungen, vor allem aus dem Ortsteil Engerhafe, gegen ihn so groß geworden, das er diesen Dienstwechsel vornahm. Das war also die Situation in Engerhafe, kurz vor der Errichtung des Lagers. Im jetzt leerstehenden Pfarrhaus brachte man ausgebombte Personen aus der Stadt Emden unter. Mehrere Familien fanden hier ein Unterkommen, bis nach dem Krieg.

Entstehung des Lagers 1942

Am 16. März 1942 wird im KV-Protokoll vermerkt, dass die Organisation Todt, das war eine nach ihrem Führer benannte Organisation, die vor allem kriegswichtige Bauten herstellte, Pfarrhaus, Pfarrgarten und sich anschließendem Kirchenland, der damals vakanten Kirchengemeinde, beschlagnahmt hatte. Es sollte ein Lager für zwangsverpflichtete, ausländische Arbeiter errichtet werden. Die Beschlagnahme fand laut der Kirchenchronik Anfang Februar 1942 statt. Ursprünglich war Land südlich des Uiterdyk, direkt an der Bahnlinie, vorgesehen  – aber dieses Land gehörte dem Ortsbauernführer – und er schlug vor, Pfarrhaus und Kirchenland zu beschlagnahmen, weil hier der Widerstand als gering eingestuft wurde. Und dabei lag er genau richtig, es wurde zwar gegen die Beschlagnahme protestiert, aber eine gerichtliche Auseinandersetzung gescheut. Der Ortsbauernführer hatte auch noch andere persönliche Gründe das Kirchenland statt seines Landes vorzuschlagen, denn er befand sich in einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Kirchengemeinde. Es ging dabei darum, inwieweit er als Ev.-reformiertes Kirchenmitglied, abgabenpflichtig gegenüber der ev. luth. Kirche sei.

Die zivilen Fremdarbeiter, für die das Lager gebaut wurde, sollten die Bunker in Emden bauen. Sie waren für diese Arbeit zwangsverpflichtet, konnten sich aber im Gegensatz zu den später hier eingesperrten KZ-Gefangenen, frei bewegen. Nach Unterlagen der Stadt Emden konnte dieses Lager ebenso in der Folge für die Unterbringung von Arbeitskräften und notfalls als Ausweichunterkunft für bombengeschädigte Wohnungsberechtigte dienen.

Dieses Barackenlager in Engerhafe hatte 1942 schon das Aussehen, wie wir es von den verschiedenen Lageplänen vom KZ-Außenlager kennen. Es wurde für 520 Arbeiter gebaut  und es war offen und ohne Bewachung. Pastor Janssen aus Münkeboe, der die Vakanzvertretung für Engerhafe vornahm, schreibt in der Engerhafer Kirchenchronik über diese Zeit des Baus und des Betriebs des Lagers:
„Das Pfarrhaus war vermietet an zwei Emder Flüchtlingsfamilien. Die noch übrigen Räume waren beschlagnahmt von der Organisation Todt. Eine Baufirma hatte sich mit dem Baubüro und deutschen, holländischen und tschechischen Arbeitern einquartiert. Es wurde ein Barackenlager für etwa 500 Arbeiter errichtet, die in Emden bombensichere Bunker bauen sollten. Gleiche Lager entstanden in Marienhafe, Moordorf und Loppersum und an anderen Orten. In den Pfarrgarten kamen zwei große Baracken von je etwa 40 m Länge und ein splittersicherer Unterstand aus Zementröhren mit über mannshohem Durchmesser. Mitte April wurden die Baracken bezogen. Die fremdländischen Arbeiter fuhren des Morgens mit der Eisenbahn an ihre Arbeitsstelle und kehrten des Abends wieder.

Mitte Mai wurde das Pfarrhaus von den Arbeitern geräumt und zur Zufriedenheit des Kirchenvorstandes wieder in Stand gesetzt, so dass am 21. Mai zum ersten Mal der Konfirmandenunterricht wieder im Konfirmandensaal gehalten werden konnte, nachdem bis dahin Fräulein Ihnen für denselben ihre Küche zur Verfügung gestellt hatte. Auch wurde das Lager, dessen übrige Teile auf dem Wege, der vom Pfarrhaus in nördliche Richtung zur Schule läuft, errichtet sind, gegen den Pfarrgarten so abgegrenzt, dass in diesem die Ruhe und Ordnung wieder hergestellt ist“. Soweit das Zitat aus der Kirchenchronik.

In einem Schreiben des Kirchenvorstands vom 27. Februar 1942 an das Landeskirchenamt wird folgender Bericht gegeben:
„Nach dem Fortgang von Pastor Schomerus von unserer Gemeinde ist das Pfarrhaus unter der Bedingung jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit an 1 mal eine und 1 mal zwei Emdener Familien vermietet worden.
Vor etwa 3 Wochen erschien ein höherer Parteibeamter mit dem Ortsbauernführer bei dem stellvertretenden Vorsitzenden des Kirchenvorstandes, dem Kirchenvorsteher Klugkist in Engerhafe und erklärte, dass Pfarrhaus und Pfarrgarten für ein für die Organisation Todt zu errichtendes Barackenlager benötigt würden. Auf die Äußerung des Kirchenvorstehers, er sei allein nicht verfügungsberechtigt, erklärten die Herren, er solle keine Schwierigkeiten machen, Pfarrhaus und Pfarrgarten würden beschlagnahmt.
Seit kurzem ist nun eine Gruppe von Arbeitern am Werk das geplante Barackenlager für 500 Arbeiter, die in Emden eingesetzt werden sollen, aufzurichten. Eingelassen sind bisher 10 deutsche und 10 tschechische Bauarbeiter. Die Deutschen haben den Konfirmandensaal, die Tschechen das ehemalige Studierzimmer und das Besuchszimmer bezogen. Im Wohnzimmer der einen Emdener Familie ist das Baubüro, in der der Waschküche die Mannschaftsküche eingerichtet. Es würden 20 weitere Arbeiter erwartet. Nach Fertigstellung des Lagers soll das Pfarrhaus wieder frei werden.
Zwei Hauptbaracken kommen in den Pfarrgarten, die übrigen in eine am Pfarrgarten sich entlang ziehende Allee und auf dem Schulplatz. Es handelt sich um sehr große Baracken, die mehr als den ganzen früheren Gemüsegarten einschließlich der verpachteten Teile bedecken. Mit dem Bau der einen Baracke ist bereits begonnen. Zahlreiche Obstbäume sind gefällt worden. Die so sorgfältig gepflegte Pfarre unserer Gemeinde bietet bereits ein arges Bild der Verwüstung.“

Das Landeskirchenamt schreibt am 12. März 1942 an den Regierungspräsidenten in Aurich:
„Eine förmliche Beschlagnahmeverfügung ist nicht ergangen. Zur Behebung des bestehenden unhaltbaren Zustandes bitten wir um ein baldmögliches dortiges Eingreifen. Für eine baldgefl. Nachricht über das dort Veranlasste wären wir dankbar.“

Zunächst also wurde im Pfarrhaus das Baubüro untergebracht und im Pfarrgarten zwei Baracken errichtet. Auf dem Dodentwenter, direkt auf dem Weg, wurden eine Aufenthaltsbaracke, eine Küchen- und Waschbaracke und ein Pumpenhaus errichtet. Der Dodentwenter wurde nach Osten auf das Kirchenland verschwenkt. Das lässt den Schluss zu, dass das Land von Familie Ihnen, westlich des Dodentwenters, zunächst nicht genutzt wurde. Ausserdem gibt es keine Unterlagen das die Ihnens, im Gegensatz zur Kirchengemeinde und der Gemeinde Oldeborg, eine Entschädigung der Stadt Emden erhalten haben.

Die Stadt Emden war der Auftraggeber für den Lagerbau. Sie zahlte an die Gemeinde Oldeborg 10,- RM und der Kirchengemeinde Engerhafe 100,- RM jährlich, ebenso veranlasste sie auch die Versicherung der Gebäude durch die Ostfriesische Brandkasse. Das Lager wird von den Bearbeitern des Antrags, als Gemeinschaftslager bezeichnet.

Unsicherheiten gab es bisher über die zwei nördlichen Baracken. Martin Wilken erwähnt in seinem Aufsatz über das KZ-Engerhafe, dass im Oktober 1944 zwei weitere große Baracken am Nordende des Lagers, zu beiden Seiten des Weges, also jetzt auch auf der westlichen Seite, entstanden sind. Welche Quellen er dafür hat, wird nicht erwähnt.

In den Aufzeichnungen der Kirchengemeinde werden sie weder 1942 noch 1944 direkt erwähnt, es wird nur 1942 an einer Stelle berichtet, das auch der Schulplatz für den Barackenbau verwendet wurde. Und zwar in einem Schreiben des Kirchenvorstands an das Landeskirchenamt. Hier schreibt man von: „zwei Hauptbaracken im Pfarrgarten und den übrigen in eine sich am Pfarrgarten entlang ziehende Allee und auf dem Schulplatz“.

Martin Wilken schreibt 1981 in seinem Bericht über das KZ, dass „das nördlich der Pastorei gelegene Kirchenland und in dessen Verlängerung der Spielplatz der Engerhafer Volksschule sowie ein Streifen Privatlandes westlich des Dodentwenter“, erst Oktober 1944 beschlagnahmt wurde. Demnach hätten dort vorher auch keine Lagergebäude stehen können oder sie müssen sich sehr nahe beim Dodentwenter befunden haben und keinen wesentlichen Platzbedarf auf dem Land von Wilhelm Ihnen und der Schule verursacht haben.

Aber hier irrt Martin Wilken. Denn wie oben ausgeführt, berichtet der Kirchenvorstand 1942 schon von Baracken auf dem Schulplatz, außerdem existiert eine Zeichnung der Ostfriesischen Brandkasse von 1943, in der diese beiden nördlichen Baracken schon eingezeichnet sind. Wir dürfen davon ausgehen, dass der Lageplan der Brandkasse sehr genau ist. Sie ist mit Maßangaben über den Abstand zu bestimmten Gebäuden versehen, deren Lage bekannt ist und die schon vorher eingemessen waren.

Im Buch von Elke Suhr wird erwähnt, das der Stacheldrahtzaun, die Wachttürme und das Lagertor 1944 errichtet wurde aber nicht davon das große Baracken gebaut wurden, dazu reichte die Zeit auch nicht aus, den kurz nach dem Vorauskommando erschien schon der Großteil der 2.000 Lagerinsassen.


Abbildung: Lageplan Ostfriesische Brandkasse

Die Karte der Ostfriesischen Brandkasse ist erst nach 2009 von einem Mitglied des Gedenkstättenvereins im Staatsarchiv Aurich entdeckt und ausgewertet worden. Ich habe mich anfangs von dieser Karte täuschen lassen, weil die Abstände vom Gulfhof und Pfarrhaus nicht exakt eingezeichnet sind. Wenn man diese Abstand vom Gulfhof und Pfarrhaus korrigiert, hat man eine sehr genaue Zeichnung des Lagers, die sich mit den Angaben der Zeitzeugen deckt. Und wir sehen, dass alle wesentlichen Gebäude 1942 schon vorhanden sind.


Abbildung: Lageplan mit korrigierten Abständen der Gebäude

 Dieses Gemeinschaftslager bestand also aus 4 Unterkunftsbaracken. Der Name Baracke kommt laut Wikipedia aus dem Französischen und bedeutet „eine Feldhütte, ein leichter, meist eingeschossiger, nicht unterkellerter leichter Bau, besonders aus Holz. Das Wort bezeichnete zunächst eine Soldatenunterkunft. Es kann sich auch um ein provisorisches Gebäude zur vorübergehenden massenhaften Unterbringung von Personen, wie Soldaten, Arbeitern, Flüchtlingen, Ausgebombten, Kriegsgefangenen, Internierten oder Zwangsarbeitern handeln.“

Das Lagersystem mit Barackenbauten stellte ein wesentliches Element der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft dar. Es gab mehrere Tausend Konzentrations- und Nebenlager und sieben Vernichtungslager. Sie dienten der Ermordung von Millionen von Menschen, der Unterdrückung politischer Gegner, der Ausbeutung durch Zwangsarbeit, medizinischen Menschenversuchen und der Internierung von Kriegsgefangenen. Aber sie fanden ebenfalls Verwendung als Unterkünfte für Soldaten, für den Reichsarbeitsdienst (RAD), für die Hitlerjugend und den Bund deutscher Mädchen (BDM).

Die Baracken in Engerhafe wurden, wie bereits beschrieben, zunächst für die Unterbringung von zwangsverpflichteten Arbeitern gebaut. Zwei befanden sich im Pfarrgarten, zwei waren am Nordende, links und rechts des Weges gebaut worden. Drei von ihnen waren 42,6 Meter lang und 12,6 Meter breit.

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Grundriss einer Baracke von Engerhafe

Die Baracken bestanden aus Holz und hatten einen Holzfußboden. Die Traufhöhe war 3,5 Meter und der Giebel war 4,8 Meter hoch. Die Baracken hatten einen Mittelflur und auf jeder Seite an den Stirnseiten 2 kleinere und in der Mitte 5 größere Räume. In jedem Raum befand sich ein Ofen, der Rauchabzug erfolgte mittels des Ofenrohrs nach oben. Überlebende Häftlinge berichteten, dass diese Öfen wegen Brennstoffmangel nicht betrieben wurden. In jedem Raum war eine elektrische Leuchtquelle, in dem Mittelflur waren 4 angebracht.

Nach dem Lageplan der Brandkasse ist die nordöstliche Baracke grösser. Sie war 60,2 m lang und 13,5 m breit, in ihr wurde zusätzlich noch eine Krankenstation eingerichtet. Sie wird von der Brandkasse als Mannschafts- und Sanitätsunterkunft bezeichnet.

Ein Pumpenhaus, ein Waschgebäude und ein Wirtschaftsgebäude, was wohl auch als Aufenthaltsraum genutzt wurde und ähnlich groß war wie die Unterkunftsbaracken, wurden auf dem Dodentwenter errichtet und der Weg darum herum geführt. Außerdem wurde noch ein Geräteschuppen am südlichen Ende gebaut. Es existierten 3 Abortgebäude, sie standen am nördlichen, südlichen und östlichen Ende des Lagers. Ein Erdbunker der aus mannshohen Zementröhren bestand, wurde im Pfarrgarten erstellt, ein anderer mittig des übrigen Lagers.

In dem damaligen Schriftverkehr der Stadt Emden wird das Lager in Engerhafe mit einer möglichen Belegschaft von 520 Personen erwähnt. Das würde bedeuten, dass in jeder Baracke 130 Personen untergebracht waren. Das Lager war zunächst ein offenes Lager, ohne Bewachung und Stacheldraht, ja, es heißt, das die Dorfbevölkerung aus- und einging und im Aufenthaltsraum des Lagers Filme anschaute. Der Dodentwenter wurde weiterhin als Verbindungsweg genutzt. Die hiesige Bevölkerung jener Zeit kannte also das Lager von innen und außen und das über 2 ½ Jahre. Der Bunkerbau in Emden war gegen Ende des Jahres 1942 in großen Teilen abgeschlossen. Infolgedessen stand das Lager in Engerhafe dann zunächst leer.

Laut Akten des Staatsarchivs Aurich  soll am 03. August 1943 der III. Zug einer Telefonbauabteilung im Lager Engerhafe einquartiert worden sein.

Anfang 1944 berichtet die Kirchenchronik dazu:
„Nachdem das Barackenlager im Pfarrgarten zu Engerhafe zuerst mit ausländischen Hilfsarbeitern belegt gewesen war, die an den Bunkern in Emden arbeiteten, kam Anfang 1944 eine Abteilung französischer Facharbeiter unter Führung eines Hauptmanns Förster, eines reformierten Pastors aus dem Rheinland. Dieser hat treulich in den verwaisten Gemeinden geholfen, indem er sonntäglich zweimal predigte, abwechselnd einmal bei uns, das andere Mal in reformierten Gemeinden.“

Dazu ist zu sagen, dass viele Pastoren damals zum Wehrdienst eingezogen wurden. Auf dem Höhepunkt der Kriegsgeschehnisse waren Pastor Elster aus Marienhafe und Pastor Linnemann aus Osteel, für ihre eigenen Gemeinden und darüber hinaus im Wechsel für Engerhafe, Münkeboe-Moorhusen, Victorbur, Moordorf, Wiegboldsbur, Forlitz-Blaukirchen, Siegelsum, Marienhafe, Osteel und Berumerfehn zuständig.

Umbau zum KZ Außenlager 1944

Am 21. Oktober 1944 veränderten sich die Situation und das Aussehen des Lagers. Aus dem offenen Arbeitslager wurde ein hermetisch abgeriegeltes KZ-Außenlager und keinem Unbefugten war das Betreten gestattet. Der Grund war der Panzergrabenbau um Aurich herum. Zu dessen Fertigstellung wurden 2.000 KZ-Gefangene  aus dem KZ Neuengamme nach Engerhafe überführt.

Zunächst wurde ein Vorauskommando von 400-500 KZ-Gefangenen  im Lager Engerhafe untergebracht. Es waren zum Teil Facharbeiter, die zunächst die Wachtürme und den elektrischen Stacheldrahtzaun errichteten. Die Zahl von 2.000 KZ-Gefangenen wurde vielfach angezweifelt, weil es als unwahrscheinlich erschien, das diese große Zahl von Menschen im Lager Platz fand. Das Lager war ursprünglich für 520 Personen gebaut worden aber 1944 wurden wahrscheinlich die Stühle und Tische entfernt um zusätzliche Schlafmöglichkeiten zu schaffen und alle Betten waren mindestens doppelt belegt. Im Buch von Elke Suhr wurde von ehemaligen KZ-Insassen die Zahl von 2.200 bestätigt, in einer Stellungnahme des Polizeiposten Georgsheil und des Stadtdirektors von Aurich wurde 1949 eine Zahl von ca. 1.000 Gefangenen genannt.

Martin Wilken schreibt, dass die zwei Baracken im Pfarrgarten außerhalb des Zauns lagen und in ihnen die Wachmannschaft untergebracht war. Diese Wachmannschaft bestand aus 50-60 Angehörigen der Marine, sowie einige ältere Heeressoldaten. Die Lagerführung hatte ein SS-Scharführer, daneben gehörten weitere zwei bis fünf SS-Angehörige der Lagerleitung an.

Tatsächlich lag aber nur die Baracke östlich des Pfarrhauses außerhalb des Zauns, in der Baracke die sich nördlich des Pfarrhauses befand, waren KZ-Häftlinge untergebracht. So finden wir es in den verschiedenen neueren Lageplänen und es gibt den Zeitzeugenbericht eines Kindes, das damals im Pfarrhaus wohnte und erzählte, wie es durch das Stallfenster des Pfarrhauses direkt in die Häftlingsbaracke schauen konnte.

Martin Wilken erwähnt, dass 1944 das Lagergelände vergrößert wurde. Aber es wird nicht, das Kirchenland nördlich vom Pfarrhaus und ein Teil des Schulplatzes der Schule Engerhafe sein. Man benötigte allenfalls zusätzliche Flächen für den Zaun und um den Appellplatz zu erhalten. Ein Lagertor wurde vor Ort gezimmert und aufgestellt. Östlich der Waschbaracke wurden weitere offene Latrinengruben errichtet. Die Wirtschafts- bzw. Aufenthaltsbaracke wurde jetzt zusätzlich als Unterkunftsbaracke genutzt. Statt 500 Menschen waren jetzt 2.000 Insassen in dem Lager.

Vom KZ-Engerhafe existieren einige Lagepläne. Die ersten beiden sind aus dem Jahr 1965,  sie wurden beim Prozess gegen den Lagerleiter gezeigt. Sie waren ziemlich ungenau, obwohl erst 20 Jahre vergangen waren.

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Lageplan der Staatanwaltschaft Aurich 1965

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Lageplan eines ehemaligen  polnischen Häftlings 1965

Dann kommt zeitlich gesehen Martin Wilkens Plan. Martin Wilken kennt die örtlichen Verhältnisse und die Aufzeichnungen aus dem Pfarrarchiv. Sein Plan zeigt die umliegenden Gebäude und ist detailreich. Es sind aber wohl drei Fehler vorhanden. Erstens zeichnet er den Feuerwehrschuppen außerhalb des Lagers. Aber ist gibt Zeitzeugenberichte, dass sich der Feuerwehrschuppen innerhalb des Lagers befand. Allerdings gab es nach Martin Wilken in Engerhafe zwei Gebäude für die Feuerwehr. Es ist zum einen ein Massivbau. Zitat Martin Wilken; Gemeinde Oldeborg 1938-1972: „Zur Unterbringung der Spritze wurde an der Südwestecke des Pfarrgartens am Dodentwenter in Engerhafe ein massives Haus (1882) erbaut. Dies alte Spritzenhaus ist 1956 abgebrochen worden, nachdem die Feuerwehr inzwischen ihren Standort in Oldeborg erhalten hatte.“ Zum anderen eine Wellblechgarage. An gleicher Stelle bei Martin Wilken steht: „Die Anfang 1937 zur Unterbringung der neuen Geräte erworbene Wellblechgarage wurde in der Nähe des alten Spritzenhauses am Dodentwenter in Engerhafe aufgestellt.“

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Lageplan nach Martin Wilken 1981

Unklar ist auch, wie das Gebäude für den Wachtposten am Lagereingang beschaffen war, einige Lagepläne haben dort auch eine Unterkunft für den Lagerkommandanten oder der SS. Oder sind die Feuerwehrgebäude von den Wachtposten, dem Lagerkommandanten oder der SS genutzt worden und die Gerätschaften der Feuerwehr wurden in dem obengenannten Geräteschuppen untergebracht?

Zweitens ist bei Martin Wilken die Lage einer Baracke falsch wiedergegeben, die sich nicht nordöstlich, sondern richtigerweise genau nördlich des Pfarrhauses befunden hat. Sie war nach Plan der Brandkasse nur 20 Meter vom Pfarrhaus entfernt. Zwischen dieser Baracke und dem Pfarrhaus befand sich der Stacheldrahtzaun. Das bedeutet, dass nur die sich im Ostteil des Pfarrgartens befindliche Baracke außerhalb des Lagerzauns war. Sie war groß genug um die gesamte Wachmannschaft aufzunehmen.

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Lageplan nach Manfred Staschen, Die Arbeits- und Gefangenenlager um Aurich, 1993

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Lageplan nach Enno Schmidt; Ausstellung: Das Panzergrabenkommando Aurich 2002

Die beiden nachfolgend erstellten Pläne übernehmen diese Fehler, es sind die Pläne von Staschen und Enno Schmidt.

Der Plan von Endelmann ist relativ genau und im neuesten Plan aus dem Buch „Van naam tot nummer“ gibt es noch einige Zusatzinformationen, die von einer Zeichnung eines niederländischen Überlebenden stammen.

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Lageplan nach Endelmann und Herbert Müller, 2012

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Lageplan nach Pieter Dekker- Gert van Dompseler; Van naam tot nummer, 2014

Zum Lager gehörten auch der Appellplatz auf der östlichen Seite und der Bunker der schon 1942 errichtet wurde und sich dort ebenfalls befand. Er wurde später zum Lagerplatz für die Verstorbenen verwendet und wird nicht mehr als Bunker benutzt. 1944 war das KZ-Lager nachts hell erleuchtet. Es wurde nie von Flugzeugen aus angegriffen. Das lässt vermuten, dass das Lager den Alliierten bekannt war.

Martin Wilken hat in verschiedenen Aufsätzen die Geschehnisse um das KZ-Engerhafe festgehalten. Ein Aufsatz vom Oktober 1976 über die Gemeinde Oldeborg, ist der erste mir bekannte, der sich mit dem Thema auseinandersetzt. 1981 schrieb er einen weiteren Aufsatz mit dem Titel: „Das KZ – Lager Engerhafe, Kommando Neuengamme“. Anlass war eine Anfrage des Museums für Hamburgische Landesgeschichte an die Gemeinde Südbrookmerland über das ehemalige Lager.

Im Gemeindebrief der Kirchengemeinde Engerhafe veröffentlichte Martin Wilken unter der Rubrik „Ut verleeden Tiden“ vom Juli 1979 bis zum Mai 1994 Aufsätze aus der Geschichte der Kirchengemeinde und berichtet hier auch über das KZ und 1995 erschien das Ortsippenbuch der Kirchengemeinde auch hier erwähnt er unter der Überschrift: „Einiges aus der Geschichte des Kirchspiels Engerhafe“ das KZ.

Elke Suhr hat in ihrem Buch „Das Konzentrationslager im Pfarrgarten, 1984“ die Erkenntnisse von Martin Wilken zum Bau und Aussehen des Lagers im Wesentlichen übernommen und dazu weitere Zeitzeugen, darunter auch ehemalige Insassen, befragt.

Dass sind die Standardwerke zum KZ-Engerhafe, aus die alle späteren Schreiber zitiert haben.

Das Ergebnis meiner Beschäftigung mit dem Bau des Lagers ist, dass es folgende Abweichungen von den vorgenannten Standardwerken gibt:

  1. Das Barackenlager wurde schon 1942 im Wesentlichen fertiggestellt. 1944 kamen keine zusätzliche Baracken und keine wesentliche Geländevergrößerung dazu, sondern nur die Umzäunung, die Wachttürme, das Lagertor, zusätzliche Abort-anlagen und eventuell der Appellplatz.
  2. Die Baracke südlich des Pfarrhauses befand sich sehr dicht (20 m) am Pfarrhaus und war eingezäunt. Der Zaun muss sich deshalb direkt hinterm Pfarrhaus befunden haben.

Am 15. Dezember 1944 begann der Rücktransport von 600 Schwerstkranken von Engerhafe nach Neuengamme. Seit dieser Zeit ging die Zahl der Sterbefälle, die in Engerhafe dokumentiert wurde, etwas zurück. Es starben auf dem Rücktransport noch etliche KZ-Insassen. Mit der Überstellung der restlichen Häftlinge nach Neuengamme um den 22. Dezember 1944 wurde das KZ-Lager wieder aufgelöst. 188 der Insassen starben an der unmenschlichen Behandlung und wurden in Engerhafe begraben.

Die Zeit nach der Verwendung als KZ

Über die Zeit nach der Verwendung des Lagers als KZ schreibt die Kirchenchronik:
„Im Winter stand das Lager leer. Einige Wochen vor dem Zusammenbruch wurden ausländische Zwangsarbeiter im Lager zusammengezogen, meist Holländer, auch Frauen und Kinder. Wieder herrschten im Lager Hunger und Kälte, bis die Kanadier den Internierten Freiheit und reichlich Verpflegung brachten. Die Tore des Lagers wurden geöffnet und die Insassen ergossen sich in die Umgebung. Mancherlei Gewalttaten wurden verübt, insbesondere viele Fahrräder entwendet.
Nach einiger Zeit begann man Glieder der Gemeinde, die der nationalsozialistischen Partei angehört hatten, in das Lager zu holen. Man schor ihnen die Haare, malte ihnen das Hakenkreuz auf den Rock und die Mütze und ließ sie die Latrinen reinigen und anderen Unrat forträumen. Zuerst gab es einen gewaltigen Schrecken, die Sache lief aber dann doch verhältnismäßig harmlos ab.“ Soweit die Kirchenchronik.

Diese Aussage deckt sich im Wesentlichen mit Aussagen aus dem Buch von Loes Dijk, De oorlog van mijn vader, 2013. Sie beschreibt den Leidensweg ihres Vaters Alle von Dijk. Er war gegen Ende 1944 in dem Lager Schwarzer Weg in Wilhelmshaven gelangt. Mit einem Krankentransport wurde er per Eisenbahn nach Emden transportiert, wo er flüchtete. Er wurde wieder eingefangen und nach Engerhafe gebracht. Hier war er in der Zeit kurz vor der Kapitulation bis in die ersten Tage nach Kriegsende (Vom 03. Mai bis spätestens 18. Mai 1945).
Nach seinem Bericht erschien am 05. Mai eine kanadische Panzereinheit, die das Lager befreite. Ein Lager in dem ausländische Zwangsarbeiter waren, das von russischem? Personal bewacht wurde, aber wo es keine täglichen Appelle gab und die Bewachung so nachlässig war, dass sie nachts das Lager verlassen konnten und sich in der Umgebung Essen besorgen konnten. Nach seinem Bericht war die russische Bewachung am 05. Mai 1945 verschwunden. Die kanadischen Soldaten inhaftierten den Lagerleiter und eine weitere Person und den örtlichen Polizisten. Sie versorgten die Insassen mit Lebensmittel und sorgten für den Rücktransport in ihre Heimat. Ein Tag vor dem Rücktransport starb der Belgier Joseph Denoyette, am 17.5.1945 und wurde auf dem Friedhof in Engerhafe beigesetzt. Er wurde von Pastor Enno Janssen auf dem KZ-Friedhof bestattet und ist als 189. Name auf der Gedenktafel eingraviert.

Martin Wilken schreibt über diese Zeit: „Nach dem noch erhaltenen Inventarverzeichnis aus jener Zeit besaß die Freiwillige Feuerwehr Oldeborg damals eine vollständige und gute Ausrüstung, so dass sie allen Anforderungen gewachsen war. Dieser Gerätebestand ist nach Kriegsende erheblich geschädigt worden. So wurde u.a. die Zugmaschine, ein Pkw Opel-Kapitän, von Fremdarbeitern, die damals in einem in der Nähe der Feuerwehrgarage befindlichen Lager wohnten, gestohlen und fortgeführt. Auch die alte Handspritze ist in jener Zeit verloren gegangen.“

Danach hat das Lager wiederum leer gestanden, bis im Juni 1945 die deutsche Hollandarmee in Ostfriesland, nördlich des Ems-Jade-Kanals, interniert wurde. Ganz Ostfriesland, oberhalb des Ems-Jade-Kanals war damals ein einziges Kriegsgefangenenlager für deutsche und österreichische Soldaten. In dem Barackenlager in Engerhafe sollen sich anfangs 3.000 Soldaten befunden haben. Bis etwa Februar 1946 wurden die Soldaten nach und nach entlassen.

Das Transportunternehmen Johann Friedrich Dirks stellt im Februar 1946 eine Rechnung über den Transport von Teilen von Engerhafe nach Emden aus. Um was für Teile es ging wird nicht genannt. Damit begann der Abbau des Lagers.

Die Betonröhren im Pfarrgarten wurden erst Anfang 1954 ausgegraben und von hiesigen Landwirten übernommen.

Im Pfarrgarten befindet sich bis Ende 1959 noch ein als Wohnbaracke bezeichnetes Gebäude, ob es sich dabei um eine ehemalige Baracke des KZ handelt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn sie wird an verschiedenen Stellen auch als Blechbaracke bezeichnet. Es findet also ein allmählicher Abbau des Lagers statt. Bis Ende der fünfziger Jahre befanden sich immer noch Reste des Lagers vor Ort.

Endnoten:

(1.) Die Deutschen Christen (DC) waren eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte.

(2.) Die Bekennende Kirche war eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche einer Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) in der Zeit des Nationalsozialismus.