Im Archiv der Kirchengemeinde Engerhafe befindet sich eine Kirchenchronik welche die Zeit von 1914 bis 1955 umfasst. Alle Eintragungen, vom Bau des Barackenlagers, über den Betrieb des KZ’s, bis zur Auflösung des Lagers, wurden von Pastor Janssen, Pfarrer in Münkeboe, der die überwiegende Zeit die Vakanzvertretung in Engerhafe innehatte, vorgenommen.
Pastor Jürgen Hoogstraat aus Victorbur hat Passagen aus der sehr schlecht zu lesenden Chronik, Ende 2009 in eine leserliche Schreibform gebracht, um das Wissen um die Geschichte des KZ Engerhafes zu vervollständigen. Schon 1983 hatte Martin Wilken ebenso Passagen, die das Barackenlager betreffen, aus der Chronik herausgeschrieben. Wilken führt zusätzlich noch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Entnazifizierung auf.
Hier folgen jetzt die Passagen welche die Ereignisse um das Lager betreffen:
„Mit dem 15. Februar 1942 wurde ich (P. Janssen) wieder mit der Wahrnehmung der Pfarrgeschäfte in der Gemeinde beauftragt. Das Pfarrhaus war vermietet an 2 Emder Flüchtlingsfamilien. Die noch übrigen Räume waren seit etwa Anfang Februar beschlagnahmt von der Organisation Todt. Eine Baufirma hatte sich mit dem Baubüro und deutschen, holländischen und tschechischen Arbeitern einquartiert. Es wurde ein Barackenlager für etwa 500 Arbeiter errichtet, die in Emden bombensichere Bunker bauen sollten. Gleiche Lager entstanden in Marienhafe, Moordorf und Loppersum und an anderen Orten. In den Pfarrgarten kamen 2 große Baracken von je etwa 40 m Länge und ein splittersicherer Unterstand aus Zementröhren mit über mannshohem Durchmesser. Mitte April wurden die Baracken bezogen. Die fremdländischen Arbeiter fuhren des Morgens mit der Eisenbahn an ihre Arbeitsstelle und kehrten des Abends wieder.
Mitte Mai wurde das Pfarrhaus von den Arbeitern geräumt und zur Zufriedenheit des Kirchenvorstandes wieder in Stand gesetzt, sodass am 21. Mai zum ersten Mal der Konfirmandenunterricht wieder im Konfirmandensaal gehalten werden konnte, nachdem bis dahin Fräulein Ihnen für denselben ihre Küche zur Verfügung gestellt hatte. Auch wurde das Lager, dessen übrige Teile auf dem Wege, der vom Pfarrhaus in nördliche Richtung zur Schule läuft, errichtet sind, gegen den Pfarrgarten so abgegrenzt, dass in diesem die Ruhe und Ordnung wieder hergestellt ist. […]
Nachdem das Barackenlager im Pfarrgarten zu Engerhafe zuerst mit ausländischen Hilfsarbeitern belegt gewesen war, die an den Bunkern in Emden arbeiteten, kam Anfang 1944 eine Abteilung französischer Facharbeiter unter Führung eines Hauptmanns Förster, eines reformierten Pastors aus dem Rheinland. Dieser hat treulich in den verwaisten Gemeinden geholfen, indem er sonntäglich 2mal predigte, abwechselnd einmal bei uns, das andere Mal in reformierten Gemeinden. Leider kam er aber vor Ostern mit seiner Abteilung wieder fort. Von Ostern 1944 konnte der unterzeichnete Pastor Janßen in Münkeboe wieder den gesamten Pfarrdienst in der Gemeinde übernehmen. […]
Nachdem das Barackenlager den Sommer 1944 leer gestanden hatte, wurde es gegen Ende Oktober in ein Gefangenlager verwandelt und (zwar, J.H.) mit, wie man sagte, an 2000 politischen Gefangenen deutscher und fremdländischer Nationalität (belegt, M.W.). Die Gefangenen wurden täglich über Aurich nach Egels geführt. Bald traten im Lager die ersten Todesfälle ein. Da dem Kirchenvorstand auf dem Kirchhofe kaum noch Gräber zur Verfügung standen, wurde dieser Umstand Anlass, dass die Erweiterung des Kirchhofes um den Neuen Friedhof hinter dem Glockenturm beschlossen wurde. […]
Das Barackenlager gestaltete sich, seit es mit Gefangenen belegt war, zu einer großen Not der Gemeinde. Die Gefangenen, über deren Verhaftungen in der Gemeinde nichts Zuverlässiges bekannt wurde, standen unter dem Befehl eines jüngeren SS-Oberscharführers, dem eine Anzahl weiterer SS Männer beigegeben war. Die Bewachung wurde ausgeübt von nicht voll kriegsverwendungsfähigen Marinesoldaten, die, wie es schien, den Gefangenen nicht übel gesinnt waren. Im Lager führten Männer die Aufsicht, die uns selber wie Gefangene vorkamen. Man sagt, es seien deutsche Sicherheitsverwahrte gewesen. Die Gefangenen wurden täglich nach Georgsheil geführt und von dort aus mit der Reichsbahn nach Aurich gebracht, wo sie zum Bau von Panzergräben, zuerst in Egels, dann in Sandhorst eingesetzt wurden. Es war zu jener Zeit fast immer Regenwetter. Im Lager herrschten Hunger, Kälte und Nässe. Bald setzte ein großes Sterben ein. Obwohl die Gefangenen nur etwa acht Wochen blieben u. obwohl die 600 Schwächsten schon nach 6 Wochen abtransportiert wurden, wurden dem Totengräber 187 Gestorbene gemeldet, die ohne kirchliche Beteiligung und auch sonst ohne jedes Wort begraben wurden. Die Begrabenen waren in der Hauptsache Holländer und Polen, sowie eine Anzahl Russen, Litauer und Esten u. Lettländer, Belgier, Franzosen und Italiener sowie, wenn ich mich recht erinnere, fünf Reichsdeutsche. Eine Anzahl von Gemeindegliedern beobachtete unerhörteste Misshandlungen und nicht zu verantwortende Missstände. Ich darf sagen, dass die ganze Gemeinde über die Erlebnisse mit dem Lager empört war. Im Winter stand das Lager leer.
Einige Wochen vor dem Zusammenbruch wurden ausländische Zwangsarbeiter im Lager zusammengezogen, meist Holländer, auch Frauen und Kinder. Wieder herrschten im Lager Hunger und Kälte, bis die Kanadier den Internierten Freiheit und reichlich Verpflegung brachten. Die Tore des Lagers wurden geöffnet und die Insassen ergossen sich in die Umgebung.
Mancherlei Gewalttaten wurden verübt, insbesondere viele Fahrräder entwendet. Nach einiger Zeit begann man Glieder der Gemeinde, die der nationalsozialistischen Partei angehört hatten, in das Lager zu holen. Man schor ihnen die Haare, malte ihnen das Hakenkreuz auf den Rock u. die Mütze u. ließ sie die Latrinen reinigen u. anderen Unrat forträumen. Zuerst gab es einen gewaltigen Schrecken, die Sache lief aber dann doch verhältnismäßig harmlos ab. Das Lager hatte zum Kommandanten einen holländischen, schon etwas älteren Lehrer von sehr rechtlicher Gesinnung. Er ließ den Unterzeichneten um einen Besuch bitten. Bei demselben erklärte er, er wolle nicht die Fehler machen, die unsere SS in Holland gemacht habe. lch kenne die Gemeinde. Sollte er einen guten Mann, das heißt einen nationalsozialistisch nicht belasteten Mann, in das Lager holen, so sollte ich es ihm sagen. Er würde ihn dann wieder frei lassen. So war auch ein Kirchenvorsteher sofort frei, als der Kommandant sich von seiner treuen Hinneigung zur Kirche überzeugt hatte. – Als ein Belgier am Tage vor seinem Abtransport einem Schlaganfall erlag, wurde derselbe auf Veranlassung des Kommandanten unter Beteiligung des ganzen Lagers von mir von der Kirche aus beerdigt.
gez. Enno Janßen, Pastor zu Münkeboe.