Die Entstehung des Brookmerlands
Ein Pfarrhaus und die Kirche haben in Engerhafe gestanden, seit das Brokmerland planmäßig besiedelt wurde. Diese planmäßige Besiedlung Brokmerlands geschah bald nach der Christianisierung Ostfrieslands, die wohl Ende des 11. Jahrhundert abgeschlossen war.
Martin Wilken schreibt dazu : „Damals, und auch ja noch in der jüngsten Vergangenheit, war die Bearbeitung von Grund und Boden die Grundlage jeglicher Existenz in den Landgemeinden. Die Unterhaltung der Kirche mit ihren Priestern musste irgendwie sichergestellt werden. Das geschah, indem der Kirche Land zur Verfügung gestellt wurde. Den Grundstock wird man ihr schon bei der ersten Besiedlung des Brokmerlandes, die ja sehr planmäßig durchgeführt worden war, zugeteilt haben.“
Bei dieser Besiedlung wurde also die sogenannte „Ältere Pastorei“, die heute noch steht, mit den zugehörigen Ländereien gleich mit angelegt. Sie wurde auch Westerpastorei oder Erste Pastorei genannt. Später kam noch die Jüngere Pastorei oder auch Osterpastorei, bzw. Zweite Pastorei genannt, dazu.
Wassermann berichtet : „[…] hat die Besiedlung des Brokmerlands – […] in etwa im 10./11 Jahrhundert an diesen vier Punkten (Wiegboldsbur, Victorbur, Engerhafe und Upgant) eingesetzt“. Er sieht den Grund für die planmäßige Binnenkolonisation des Brokmerlandes in der Überbevölkerung im Altsiedland. Mit diesem Altsiedland meint er den Emsgau (Emsigerland) und den Federitgau (Federganaland).
Später können weitere Siedler hinzugekommen sein, weil eine Zunahme von Sturmfluten und damit einhergehendem Ansteigen des Meeresspiegels erfolgte.
Sicher gab es vorher schon vereinzelte Wohnsitze hier. Aber die Neuzugezogenen hatten genügend Macht, diese Vorläufer der Besiedlung zumindest zu integrieren. Pastor Meyer sprach in seinem Vortrag, den er im Jahr 2016, zur Neuerscheinung seines Buches über das Pfarrhaus von Engerhafe, gehalten hat davon, dass eine Art „Flurbereinigung“ stattgefunden hat, mit der die schon anwesenden Siedler eingegliedert und integriert wurden.
Das Besondere war die Genossenschaftsform dieser Siedlung. Jeder bekam den gleich breiten Siedlungsplatz, der zu einer Seite durch die Fluss Niederung begrenzt war, und zur anderen Seite begrenzt durch Moor und Morast, das der Hofbesitzer abbauen und kultivieren konnte. Dieses kultivierte Land ging in seinen Besitz über. Wir kennen dieses Verfahren als Upstreekrecht, das erst nach dem Urbarmachungsedikt von 1765 eingeschränkt wurde.
Das Weideland das sich in den Fluss Niederungen befand, war Allgemeingut. Diese Fläche stand allen Siedlern für die Weidenutzung zur Verfügung. Die Breite der Hofstellen betrug in Fehnhusen 70 m, in Upende 100 m und in Engerhafe 90m .
Alle Hofeigentümer hatten gleiche Rechte und Pflichten im Brookmerland, das Aufseher- und das Richteramt ging reihum und an dem Bau der Kirche mussten ebenfalls alle beitragen. Später wurde auch der Deich- und Sielbau genossenschaftlich durchgeführt. Es ist die Zeit der freien Friesen, die sich eine Konsularverfassung gegeben hatten.
Zunächst wurde die erste Kirche in Engerhafe wahrscheinlich in Holzbauweise errichtet. Archäologische Untersuchungen im Jahre 1966, durch Dr. K.H. Marschalleck, Jever, anlässlich Bauarbeiten an den Fundamenten der Kirche, haben bestätigt, dass es Vorgängerbauten gab.
Die spätere, in Steinbauweise errichtete Kirche, wurde teils in romanischem, teils in gotischem Stil errichtet und diese Kirchen lassen sich aufgrund des Baumaterials und der Bauformen engen Zeiträumen zuordnen.
Otto Galama Houtrouw (* 16. Juni 1838 in Gandersum; † 14. Februar 1933 in Oldersum) war ein deutscher reformierter Geistlicher und ostfriesischer Heimatforscher. Er schreibt in seinem Buch: „Ostfriesland. Eine geschichtlich-ortskundige Wanderung gegen Ende der Fürstenzeit“ über die Kirche von Engerhafe: „Gleichwohl ist nicht der ganze jetzt vorhandene Bau, sondern nur der westliche, mehr im romanischen Stil gehaltene Theil desselben schon damals aufgeführt, der sich durch kunstvolle Bauart vor dem später angefügten östlichen, rein gothischen auszeichnet.“
Hier irrt Houtrow allerdings, denn er vertauscht Ost mit West. Leider wird er so auch in der Historischen Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft zitiert.
Dr. Manfred Mainz datiert sie in seinem Buch über die Kirchen Ostfrieslands im Mittelalter auf das Jahr 1260 in den Ostteilen und in den Westteilen auf 1275-1285. Eine erste urkundliche Erwähnung der Kirche fand 1250 statt, damals wurde sie schon als Sendkirche genannt. In diesem Sühnevertrag mit dem Bischof Otto der II. von Münster erhält das Brokmerland die kirchliche Eigenständigkeit.
Die Entstehung des Pfarrhaus von Engerhafe
Es stellt sich die Frage ob das Pfarrhaus um 1250 ebenfalls schon in Steinbauweise errichtet war? Christian Meyer, den ich vorhin schon erwähnte und der hier von 1969 bis 1976 Pastor war, hält es für möglich. Zumindest aber steht fest, dass der historische Teil spätestens im 14. Jahrhundert in Steinbauweise vorlag.
Dieser historische Teil oder auch Steinhaus genannt, der später noch einmal verbreitert wurde, ist in den kommenden Jahrhunderten nur leicht verändert worden. Aber wie sah der übrige Teil, der immer wieder an die Erfordernisse der jeweiligen Zeit angepasst wurde, aus?
Dieser wirtschaftliche Teil hatte sehr große Ähnlichkeit mit einem Hof der damaligen Zeit. Denn der Pfarrer hatte über 20 ha Land zur Verfügung, dass er selber oder ein Pächter bewirtschaftet hat, wie ich im Folgenden beschreiben werde.
In der Auricher Ambts- und Beestbeschreibung von 1598 ist verzeichnet, dass Pastor Bernhardus Gerhardi von der Engerhafer Westerpastorei 2 Kühe und 3 Enter hat.
Pastor Gerhardus Dürrfeld von der Engerhafer Osterpastorei hat 3 Kühe, 2 Pferde, 3 Twenter, 1 Enter und 2 Kälber.
Zur damaligen Zeit hatten die vermögenden Bauern um die 20 Kühe. Aber die Pastoren hatten ja noch andere Einkünfte, wie ich später beschreibe.
1719 haben wir eine andere Situation. Im Kopf-Schatzungs-Register steht unter Sub No: 15. 5: „Hier folgen die Pastorey Heuerleuten, als Auff der Wester-Pastorey wohnet Claes Gerdes und Trientje Janßen, ihr Knecht heißt Meindt Jülvs und die Magd Ancke Evers.
Auff der Oster-Pastorey wohnt Harm Harms und Tätje Arjes, die Magd heißt Wüpke Martens.“
Jetzt sind also die Pastoreien, bzw. das Land mit der Scheune, verpachtet und Heuerleute wohnen auf ihnen. Das bedeutet, dass der Pastor im repräsentativen Steinhaus gewohnt hat und der Pächter im sich daran anschließenden hinteren Wirtschaftsteil.
Wir sehen hier wird von 2 Pastoreien gesprochen, wie ich bereits erklärte. Die ältere oder erste, die heute noch existiert, nennt man auch die Westerpastorei. Dann die jüngere oder zweite, die auch Osterpastorei genannt wurde.
Daneben hat es noch eine dritte Pastorei gegeben. Martin Wilken vermutet sie westlich vom Gulfhof Ihnen. Die Ländereien der dritten Pfarrstelle, bzw. die Erlöse ihrer Ländereien, gingen um die Zeit des 30-jährigen Kriegs zur älteren Pfarrstelle der Lambertigemeinde in Aurich.
An den Pastoreien wird es Veränderungen der Wirtschaftsgebäude gegeben haben, wie auch überall in Ostfriesland. Der Wirtschaftsteil der Höfe war anfangs schmal gewesen und diente nur zur Viehzucht. Außerhalb des Gebäudes wurde das Heu gelagert. Später im 16. Jahrhundert kam der intensive Ackerbau auf und das Heu und Getreide wurden eingelagert. Auf der Tenne, oder wie wir sagen Döschdeel, wurde im Winter das Korn gedroschen. Damals bekamen die Gulfhöfe das Aussehen, wie wir es heute noch kennen.
Aus der Landwirtschaft erzielte der Pastor einige Einkünfte, dazu kamen noch Gebühren für Amtshandlungen, wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen und außerdem erhielten sie von einzelnen Höfen Roggen, Butter, Käse in unterschiedlichen Mengen und sogenannte Krumstergelder von Wohnhäusern.
Laufende Veränderungen des Pfarrhaus
1742 als die erste Konfirmation in Engerhafe erwähnt wird, gab es noch keine Notwendigkeit einen Konfirmandensaal einzurichten, da die damaligen Konfirmanden in einem Raum der Pastorei oder in der Kirche unterrichtet wurden. Erst im Jahr 1911 wird ein Konfirmandensaal gebaut. Den Gulfhofcharakter hat das Pfarrhaus bis in das Jahr 1972 beibehalten. Ab ungefähr 1900 erhielten die Pastoren ein einheitliches Einkommen von der Landeskirche. Die Einkünfte aus der Landverpachtung fließen seitdem zur hannoverschen Landeskirche. Die landwirtschaftliche Nutzung und der Gulfhofcharakter des Pfarrhauses sind ab diesem Zeitpunkt nicht mehr notwendig.
Die landwirtschaftlich genutzten Teile des Hauses, obwohl noch vorhanden, werden immer weniger, bzw. kleiner. Nur noch die Abortanlage, ein Schweinestall und der Torfvorrat befinden sich in dem Anbau. 1972 wird die Scheune abgerissen und an dessen Stelle tritt ein Anbau mit Flachdach, in dem ein Flur, die Teeküche und Toiletten für die Gemeindehausbesucher untergebracht werden. Dieser Anbau erhält 1987 noch ein Spitzdach und ein Treppenhaus und das Pfarrhaus sein Aussehen wie wir es heute noch kennen.
Einen entscheidenden Einschnitt in die Nutzung des Pfarrhaus erfolgte in der Zeit des Nazi-Regimes. Am 16. März 1942 wird im KV-Protokoll vermerkt, dass Pfarrgarten und Pfarrhaus der damals vakanten Kirchengemeinde beschlagnahmt wurde. Es sollte ein Lager für zwangsverpflichtete, ausländische Arbeiter errichtet werden. Die Beschlagnahme fand laut der Kirchenchronik Anfang Februar 1942 statt. Später wurde dieses Lager in ein KZ-Außenlager umgewandelt.
Gerd Lücken 2016