Ich erinnere mich an die Adventszeit, als ich noch ein kleines Kind war. Wir hatten damals auch immer einen Adventskalender. Hinter den Türen, die morgens geöffnet wurden, verbarg sich, auf Transparentpapier gemalt, ein Stern, ein Engelchen oder eine andere weihnachtliche Gestalt. Hinter jeder Tür war ein bezaubernder Glanz, eine fröhliche Überraschung, eine kleine Herrlichkeit. Und mit jedem Tag kam der große Tag, der 24. Dezember, einen Schritt näher, bis das Ziel, der Heiligabend erreicht war.
Unbekümmert war unsere Freude, ausgelassen das Warten. Und heute?
Unbekümmertheit und ausgelassene Freude sind oft nicht mehr zu spüren. Der bezaubernde Glanz ist zwar nicht ganz gewichen – so für Augenblicke tauche ich wieder hinein in diesen Glanz der Zeit – und genieße es, aber andere Erfahrungen verdrängen ihn immer wieder. Jeder und jede von uns weiß, was das heißt, „den Glanz verlieren“.
Wir kennen glanzlose Tage, die sich dahinschleppen. Jeder von uns weiß, was das ist, ohne Herrlichkeit zu leben – ohne jubelnden Mut und mitreißenden Hoffnungen. Jeder lernt das einmal in seinem Leben: dass nicht hinter jeder Tür eine fröhliche Überraschung wartet, ja, dass manche Wand gar keine Türen hat und vorhandene Türen sich schließen und verschlossen bleiben und dass da schließlich eine Tür ist, grau und dunkel, auf die wir zugehen, und wir sehen nicht, was dahinter ist.
Mit der Unbekümmertheit haben wir vielleicht auch den Zauber der Zeit verloren, der uns fest verschlungen in den Armen der Freude hielt. Das ist zwar schade, aber ich glaube auch, dass das nicht unwiederbringlich ist; doch braucht es unsere Zeit, das Zauberhafte wieder zu entdecken. Blind zu vertrauen ist nach uns auch nach und nach verloren gegangen.
Einst kannten wir den Weg und das Ziel. Kein Kind würde je das Kind in der Krippe verfehlen. Schlafwandlerisch findet das Kind in den Stall.
Aber wir irren oft genug wie blind umher; blind vor Geschäftigkeit, blind, weil wir nur uns selbst sehen, erblindet beim Versuch, die Liebe eines anderen Menschen zu gewinnen, blind vor Trauer und Angst. Und so übersehen wir den Stern, der den Weg weist.
Und finden wir den Stall nicht, ist unsere Enttäuschung besonders groß – wohl deshalb, weil etwas aus unserer Kindheit geblieben ist: nämlich eine Ahnung von Heil, von Ganzheit und Frieden, die ihren Ausgang und ihr Ziel im Stall der auf die Welt gekommenen Gottesliebe haben.
In den Gottesdiensten zum Weihnachtsfest – unterwegs zum Stall – sind Sie alle herzlich willkommen.
Claus Dreier