1957 Erinnerungen von P. Reemt Lottmann

Ich habe in meinen Erinnerungen gekramt, was Engerhafe betrifft. Was waren das doch für proppevolle Zeiten, diese ersten 10 Jahre als junger Pastor! Man hatte doch viel mit sich zu tun, wenn man von den neun Engerhafer Jahren, in sechs Jahren drei verschiedene Vakanzen wahrzunehmen hatte, die einem z. B. 160 Moordorfer Konfirmanden so nebenbei bescherten.

Ich kann heute verstehen, dass da nicht viel Raum blieb für das Thema „KZ – 12 Jahre danach“, zumal von außen kein Anstoß kam. Das Thema „KZ“ war, denke ich, durch. Das war kein Verschweigen wollen, meine ich heute. Für einen jungen Pastoren gab es interessante spannendere Dinge zuhauf. Ich denke z. B. an die Anfänge in Sachen plattdeutsche Gottesdienste und Radioandachten.

So gab es dann auch keine große Ausbeute bei meinen Erinnerungsversuchen in Sachen KZ. Ich stelle fest: mein Wissen über das KZ Engerhafe stammt fast ausschließlich aus der Dokumentation von Elke Suhr aus dem Jahr 1982. Da war ich längst in Göttingen. Ich habe die Schrift in diesen Tagen noch einmal ganz gelesen. Das tat gut. Manches wurde lebendig.

Ich nenne noch einmal meine echten festen Erinnerungen aus der Engerhafer Zeit:  Volkstrauertag: Der 188 KZ- Häftlinge haben wir, ich denke selbstverständlich, gedacht. An Einzelheiten erinnere ich mich nicht, auch nicht, ob die VVN dabei war. Klar ist mir, dass ich einmal von einer Auricher Behörde aufgefordert wurde ein Redekonzept von Seiten der VVN zu prüfen. Ob es überhaupt dazu kam, weiß ich nicht.

Archiv: Ich erinnere mich an französische Akten in Zusammenhang mit der Exhumierung, u.a. mit einem Lageplan der Leichen (s. Suhr). Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Mann, der an der Exhumierung beteiligt war, der erzählte, wie unerträglich die Arbeit da gewesen sei.

Ich erinnere mich, wie mir mit großem Respekt erzählt wurde von Frau Keller, die unerschrocken immer wieder Häftlingen Essenssachen zusteckte.

Eine doppelte Episode:

1943 – ich bin 15 Jahre alt – Mein Vater bittet mich zu helfen, einen großen Suppentopf zum Torfpütt zu bringen. Da waren 4 Männer dabei, Torf zu stechen. Vater hatte sie am Morgen per Ackerwagen vom etwa 10 km entfernten Lager Esterwegen geholt – inclusive Wachmann. Die Männer sind eifrig dabei, auch als es um den den Suppentopf geht. Gern werden sie am nächsten Tag wiederkommen.

1952 – ich habe noch 1 Jahr bis zum Examen – Vater ist wieder unterwegs zum Lager Esterwegen, dieses Mal per Fahrrad. Er begleitet mich, der ich einen Gottesdienst dort halten soll. Wir finden einen großen leeren Barackenraum vor. Wir sind ein wenig irritiert, bis ein Mann kommt mit Tischdecke, Kerzen, Kreuz. Da findet sich dann ein Tisch. Einen Altar haben wir also auch. Und Leute kommen – viele! Jeder mit einem Stuhl. Es wird ein bewegender Gottesdienst.

Reemt Lottmann, 2013