Liebe Leser, liebe Leserin,
Knack! Machte mein Sprunggelenk, als ich mit dem Fuß hart auf dem Boden aufprallte. Sofort wusste ich: Da ist gerade was zu Bruch gegangen. Ein kurzer Moment Unaufmerksamkeit, gefolgt von einer OP, acht Wochen Gipsbein, Physiotherapie und vielem mehr. Heilung braucht Zeit und Geduld.
In Psalm 147 schreibt der Psalmist: „Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ Für mich einer der schönsten Verse der Bibel. Gleichzeitig hat dieser Text mich oft frustriert: Wenn da doch steht, dass Gott meine seelischen Wunden heilt: Warum spüre ich das so oft nicht? Warum holen mich alte Verletzungen immer wieder ein? Oder Ängste, die ich schon längst abgelegt haben wollte?
Es hilft mir, wenn ich diesen Satz in seinem Kontext lese. In der Lutherübersetzung ist der Psalm 147 überschrieben mit: „Gottes Walten in Schöpfung und Geschichte“. Darin beschreibt der Psalmist, dass Gottes Handeln oft in den natürlichen Prozessen unserer Welt sichtbar wird: Dass der Regen fällt, dass Gras wächst und die Sterne am Himmel stehen. Gott nutzt oft die natürlichen Prozesse, die er in seine Schöpfung hineingelegt hat, um uns zu versorgen.
Mit Hilfe der Ärzte und einiges an Geduld sind meine Knochen gut verheilt. Und wenn ich auf so manche seelische Verletzung schaue, dann stelle ich überrascht fest: Vieles ist wieder gut geworden. Ich lebe angstfreier als früher, versöhnter. Inzwischen frustriert mich der Vers nicht mehr, denn ich erkenne: Gott hat geheilt, nur in seinem Tempo – nicht in meinem.
Und kennen Sie das auch? Dass Altes, Verletzungen, Wunden aus der Vergangenheit auf einmal unerwartet wieder auftauchen? Manchmal sogar in der Reha oder im Urlaub, wenn endlich mal Zeit und Ruhe ist. Muße zum Nachdenken und sich mit sich selber zu beschäftigen. Ganz plötzlich kommt etwas wieder hoch, das wir vergraben haben und dann in einer schönen Umgebung, einer angenehmen Urlaubszeit. Ganz plötzlich, unerwartet, ungewollt. Manchmal ist ein bestimmtes Wort dafür der Auslöser. Oder eine Erfahrung, die einem unangenehm vertraut vorkommt. Ein anderes Mal sind es Bilder, Filme oder Bücher.
Sie legen den Finger auf verborgene innere Narben, wühlen Erinnerungen auf. Fassungslos sitzt man dann da und merkt: Die Zeit heilt nichts. Sie verschleiert nur. Hat das Problem lediglich eingehüllt wie in einen Kokon – nun bricht der Kokon auf und die Erinnerungen quellen daraus hervor. Man muss sich ihnen stellen. Aber wie? Einige Menschen flüchten erneut in die Verdrängung. Andere spüren, dass etwas getan werden muss. Sie suchen Psychiater, Therapeuten und Ärzte auf. Jahrelang werden die Probleme in Gesprächen von allen Seiten betrachtet oder medikamentös behandelt. Manchmal hilf dies, manchmal nicht. Einige Wunden heilen mehr, andere weniger. Ernüchternd ist die Erkenntnis, wie begrenzt unsere menschlichen Eingriffsmöglichkeiten in die Angelegenheiten der Seele doch sind. Und gerade im Urlaub, in der schönsten Zeit des Jahres will man solche Gefühle, solche schweren Gedanken gar nicht haben.
Wenn mir solches im Urlaub widerfährt, gehe ich meistens in eine Kirche, um Ruhe zu finden und mit Gott ins Gespräch zu kommen. Ich bringe im Gebet das vor Gott, was mich belastet. Es ist danach zwar nicht weg, aber ich finde mich neu wieder und bin beruhigter. Und ich spüre: Es gibt einen himmlischen Beistand: „Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ Psalm 147,3. In der Stille kommt Jesus in unser Leben hinein. Sanft legt er seine heilende Hand auf zerbrochene Herzen. Er lässt sich mit dem Verbinden Zeit. Zuerst will er, dass wir hinsehen, einsehen, nachdenken. Gefühle zulassen, Schmerzen aushalten. Und mit seiner Liebe verbindet er dabei langsam die Wunden. Manches wird schnell geheilt, anderes dauert viele Jahre.
Sind diese Schritte aber einmal getan, scheint eine neue Freiheit auf. Die Fesseln alter Erinnerungen sind abgefallen. Überraschend quellen Freude und Frieden aus dem Herzen hervor, eine ungekannte Dankbarkeit für alle guten Erfahrungen, die man erleben durfte, bricht sich Bahn. Das geheilte Herz wird schließlich zu einer Quelle guter Gedanken und guter Taten. Neu kann man dann ins Leben und zu den Leuten gehen. Die alten Narben sind dann zwar noch da, aber sie behindern nicht mehr. Man kann Verlorenes nicht ersetzen und vergangenes Leid nicht ungeschehen machen, aber es ist zu einem Erfahrungsschatz gereift, aus dem man nun schöpfen darf.
Ich wünsche Ihnen eine erholsame, heilende Urlaubszeit mit guten Erlebnissen, die Sie Kraft schöpfen lassen,
Ihre Pastorin Katharina Herresthal
[Fotos: K. Herresthal]