Die Toten nicht vergessen! KZ-Opfer in Engerhafe erhalten Grabsteine

öso. Engerhafe. Unter der Schirmherrschaft von Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr wurde die umgestaltete Grabanlage der KZ-Opfer auf dem Friedhof der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Engerhafe eingeweiht. „Nach 72 Jahren wurden die einzelnen Gräber mit Namen versehen“, sagte der Kirchenvorstandsvorsitzende Gerd Lücken. Gemeinsam mit Herbert Müller zeichnete er im Gulfhof Ihnen in einem Vortrag die Geschichte der Begräbnisstätte nach und zeigte dazu passende Fotografien: Vom Massengrab zum Gräberfeld.

„Jetzt, mit diesen Gedenksteinen, haben Angehörige einen Ort bekommen, wo sie trauern können. Die Tränen benetzen den Boden, damit Blumen wieder wachsen können“, sagte die Enkelin von Pieter van der Weij, der im Konzentrationslager Engerhafe zu Tode gekommen war. Im Namen der Angehörigen dankte Marleen Boon van der Weij allen, die dies ermöglicht haben. Sie sagte: „Für uns sind die Gedenkfeiern hier in Engerhafe herzerwärmend und sehr wertvoll. Wenn wir gut aufeinander hören und uns unsere Geschichten erzählen können, entsteht Raum für Schmerz, Wut, Angst, Scham und Schuld. Dann gibt`s Versöhnung. Sie haben das ermöglicht. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar.“

Der Regionalbischof für den Sprengel Ostfriesland-Ems ließ durch seine Pressesprecherin Dr. Hannegreth Grundmann ein Grußwort überbringen. Dr. Klahr dankte allen, die sich in Engerhafe in die Erinnerungskultur einbringen und sprach ihnen seinen großen Respekt aus. Er sei dankbar, was das Miteinander von Kirchengemeinde und Gedenkstättenverein in den zurückliegenden sieben Jahren seit der Gründung des Vereins ermöglicht hat.

_MG_8735.JPG

Klahr würdigte das enorme ehrenamtliche Engagement von Menschen, denen die Erinnerung an die KZ-Opfer und der Respekt vor den Angehörigen ein wichtiges Anliegen sei. In seinem Grußwort heißt es: „Erinnerung sind wir den Opfern schuldig! Erinnern ist zugleich unsere Chance, sensibel zu bleiben für Entwicklungen in der Gegenwart.“ Und weiter: „Wir müssen den Blick – den schmerzhaften Blick – auf die Geschichte wagen, um in der Gegenwart die Dinge klar und deutlich benennen zu können, wenn es gilt, Menschen heute davor zu bewahren, Opfer von Unrecht und Gewalt zu werden. Wenn es darum geht, die Würde eines jeden Menschen zu achten und davor zu bewahren, mit Füßen getreten zu werden.“

Einen besonderen Gruß ließ der Regionalbischof den 30 Angehörigen der KZOpfer überbringen, die in diesem Jahr aus Lettland, Slowenien und den Niederlanden angereist waren. Durch deren Anwesenheit werde das Gedenken zu einer menschlich wertvollen Erinnerung. „Seien sie überzeugt, dass wir hier ihre Toten nicht vergessen werden“, dieser Satz könnte nun heute von den Engerhafern den Angehörigen gesagt werden, führte Dr. Hannegreth Grundmann aus. Sie berichtete von der Gedenkstättenarbeit in ihrem Heimatort Ladelund an der dänischen Grenze.

Durch die persönlichen Worte von Dr. Grundmann, die mit der Gedenkstättenarbeit in Ladelund aufgewachsen war, wurde anschaulich, wie der Umgang mit den Gräbern die Gedenkstättenarbeit bestimme und zugleich ihre Grundlage sei.

„In Ladelund haben – wie in Engerhafe – die Gefangenen einen Panzerabwehrgraben bauen müssen, eine Abwehranlage von der dänischen Grenze bis an die Ems. Engerhafe und Ladelund bilden somit die Endpunkte dieser Verteidigungslinie an der deutschen Bucht entlang“, sagte Ulrich Kohlhoff als Vorsitzender des Gedenkstättenvereins KZ-Engerhafe.

_mg_8731

„Es ist mir kein anderes Konzentrationslager bekannt, das so brutal mitten in einen Ort gelegt worden ist, wie hier in Engerhafe, in unmittelbarer Nähe zur Kirche, zum Pfarrhaus und vor allem Zaun an Zaun mit der Volksschule“, so Kohlhoff.

1944 seien die 188 KZ-Opfer in einem Massengrab verscharrt worden. 1952 bekamen sie nach der Exhumierung durch den französischen Suchdienst Einzelgräber. 52 wurden in ihre Heimat oder auf Ehrenfriedhöfe in Deutschland umgebettet. Nach 72 Jahren seien die einzelnen Grabstellen nun mit Namen versehen worden, sagte Gerd Lücken. Auch die 56 Toten, die nicht identifiziert werden konnten, bekamen Grabsteine. Dies sei eine Vorgehensweise, wie sie genau gegenläufig dem Umgang mit einem Grab entspreche. Das bedeute, dass die Nationalsozialisten nicht mit ihrem Ziel durchgekommen seien, die von ihnen getöteten Menschen aus der Öffentlichkeit und dem Bewusstsein der Menschheit zu entfernen, so Lücken.

_mg_8752

„Wir können das Unrecht nicht ungeschehen machen, wohl aber die Toten als Individuen würdigen, die hier in Engerhafe eine letzte Ruhestätte gefunden haben“, sagte Herbert Müller. Müller machte darauf aufmerksam, dass es eine frühe Gedenkkultur in Engerhafe gegeben hatte, nachdem die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) kurz nach Kriegsende einen Gedenkstein aufgestellt hatte und die Kirchengemeinde Engerhafe gemeinsam mit der Gemeinde Oldeborg den Friedhofsteil gestalten ließ. Bis zum KPD-Verbot 1956 hätte es gemeinsame Gedenkveranstaltungen von Kirchengemeinden und VVN gegeben.

1965 wurde die Bepflanzung der Begräbnisstätte in eine parkähnliche Anlage verändert, die nicht erkennen ließ, dass hier KZ-Opfer beerdigt waren. Auf Initiative von Herbert Müller konnte 1990 ein von Schülern entworfenes Mahnmal errichtet werden mit den Namen der KZ-Opfer und einem Informationstext über das Lager, das vom 21. Oktober 1944 an für acht Wochen bestand.

_MG_8818.jpg

Die diesjährige Gedenkveranstaltung begann im Gulfhof und wurde in der Engerhafer Kirche fortgesetzt. Dort verlasen Konfirmanden und Schüler die Namen der Verstorbenen. Aus Projektarbeiten der Integrierten Gesamtschule Marienhafe und des Niedersächsischen Internatsgymnasiums Esens hatten die Schüler zudem eine Sonderausstellung über das Konzentrationslager im Alten Pfarrhaus präsentiert. Die bei Verlesung der Namen entzündeten Grablichter wurden von den 170 Teilnehmern der Gedenkveranstaltung auf die Grabsteine gestellt.

_mg_8846-2

Die liturgische Handlung zur Einweihung der neugestalteten Grabanlage nahm Pastorin Dr. Hannegreth Grundmann in Vertretung des Regionalbischofs vor. Im Rahmen der Einweihung pflanzten Angehörige drei weiße Rosen, die im Gedenken an alle Opfer Nationalsozialistischer Gewaltherrschaft den Namen „Friedenslicht“ tragen. „Sie erinnern daran, wie kostbar und keineswegs selbstverständlich die Grundlagen für ein demokratisches Zusammenleben sind, ein Zusammenleben in Freiheit, Verständigung und Achtung der Menschenwürde“, sagte Dr. Grundmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert